Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg
Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg

Wie Thyrnaus Loretto-Kapelle entstand

Die Legende

Als nach der Eroberung Palästinas durch die Kreuzfahrer die Mohammedaner das Heilige Land am Ende des 13. Jahrhunderts zurückeroberten, hoben Engel das Haus der Heiligen Familie in Nazareth in die Lüfte und setzten es dreimal an der Adriatischen Küste ab, zuletzt bei einem Lorbeerwald (Loreto) in der italienischen Provinz Ancona. Hier entwickelte sich einer der bedeutendsten Marien-Wallfahrtsorte.

Der historische Hintergrund

Der Verlust des Heiligen Landes an den Islam bewirkte eine Art Rettungsaktion von Reliquien aus den der Christenheit heiligen Gedenkstätten. Verschiedene Personen, besonders eine Reedersfamilie mit Namen d' Angeli (von den Engeln) brachten auf ihren Schiffen aus dem Krisengebiet Erinnerungsstücke ins Abendland. Das Zusammenführen dieser Erinnerungsstücke von verschiedenen Orten rund um die Adria war der Hintergrund für die Legende des mehrmaligen Niedersetzens des Hauses.

 

Maria Loreto ist seitdem ein Gnadenort der ganzen katholischen Christenheit geworden. Das kleine heilige Haus selbst ist wie von einer Schale umgeben mit einer kostbaren Marmorverkleidung. An der Außenseite reiht sich in strotzender Fülle Kunstwerk an Kunstwerk: Reliefs, in Nischen die Figuren von Sybillen und Propheten. Das Äußere des Hauses hat das Aussehen eines kostbaren Schreines.

Die Baugeschichte der Thyrnauer Loretto-Kapelle

Die Erneuerung

In der Zeit der Gegenreformation, der Auseinandersetzung zwischen Katholizismus und dem sich ausbreitenden Protestantismus, besonders in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges 1618 - 1648 war die Welt aus den Fugen geraten. Bis in die kleine Hofmark Thyrnau war das Rumoren gedrungen. Da war nicht nur der ewig dauernde Krieg gegen die Türken. sondern die Lehre Luthers fand in der Diözese Passau immer mehr Anhänger. In dieser inneren und äußeren Not konnte man nur von der mächtigen Fürsprecherin Hilfe erwarten, von Maria. Der asketische Johannes der Täufer in der Schlosskapelle mit seinem zottigen Fell oder der gutmütige Christophorus in der uralten Kirche am Ortsrand konnten in dieser großen Bedrängnis nicht mehr die richtigen Helfer sein.

 

Die Jesuiten waren zusammen mit dem Herrscherhäusern Habsburg und Wittelsbach für die katholische Seite und damit für die Gegenreformation tätig. Die bedeutende Marienwallfahrt Mariahilf über Passau entstand 1622. Im selben Jahr errichtete Urban Schätzl in seiner Hofmark Thyrnau die Kapelle zu Ehren der Schwarzen Madonna von Loreto, nach dem Vorbild in Italien. Bekannt wurde diese besondere Art der Marienverehrung durch die in Passau wirkenden Jesuiten, die das Marienheiligtum in Loreto in päpstlichem Auftrag betreuten. Urban Schätzl war Kommissar beim Bau des Jesuitenkollegs, des heutigen Gymnasiums Leopoldinum.

 

Am 8. November 1622 traf der Bote des Passauer Domkapitels im Schloss zu Thyrnau ein. Urban Schätzl nahm ein lang erwartetes Schreiben des bischöflichen Statthalters und Generalvikars in Empfang: die nachträgliche Genehmigung für die schon halbfertige Kapelle „... zu Ehren der Allerheiligsten Gottesgebärerin und Junckfrauen Maria ...“. Freilich, eine Rüge musste er hinnehmen dafür, dass er, ohne die Genehmigung abzuwarten, mit dem Bau begonnen hatte. Doch er kannte den schwerfälligen Instanzenweg der bischöflichen Kanzleien und wollte den Sommer nutzen, den Bau unter Dach bringen.

 

Barocke Mystik zog ein in das neu erbaute Kirchlein in der Hofmark Thyrnau. Von Bittgängen mit Kutten und Stäben ist da die Rede. 1648 war der Dreißigjährige Krieg zu Ende. Erschöpft aber glücklich waren die Menschen, und die Bittprozessionen wurden von Dankwallfahrten abgelöst. Der Ruhm der Thyrnauer Marien-Kapelle blieb aber auf das ländliche Gebiet zwischen Erlau und Ilz beschränkt. Zu groß war der Glanz des marianischen Heiligtums zu Mariahilf ob Passau.

1692 hatten die Inhaber der Hofmark in der alten Burg abgehaust. Der Bischof kaufte das verschuldete Gut Thyrnau auf. Die Marien-Kapelle, die von Anfang an aus dem Kellberger Kirchenverband herausgelöst war, wurde direkt dem Bischof unterstellt. Es war einer der bedeutendsten Passauer Fürstbischöfe, dieser Johann Philipp Graf von Lamberg, Kardinal der Heiligen Römischen Kirche, Stellvertreter des Kaisers auf dem Immerwährenden Reichstag zu Regensburg. Für diesen Weltmann und hervorragenden Kirchenfürsten waren die vorgefundenen Verhältnisse in Thyrnau natürlich nicht entsprechend. Etwas Besonderes sollte entstehen in dieser Hofmark, etwas, das Zeugnis geben sollte von der Verbundenheit des Kardinals mit dem römischen Kirchenstaat und zugleich höfisch-fürstlichen Glanz verbreitete.

 

Er veranlasste eine Renovierung und Anpassung an den damaligen Zustand der Casa Santa.

Die Marmorverkleidung der Außenwände von Loreto wurde in Thyrnau durch eine Bemalung ersetzt. Das Einmalige der Loreto-Kapelle bei der heute verblassten Fassadenmalerei kann man sich kaum noch vorstellen. Man bedenke, dass um 1700 die meisten Häuser im Unteren Wald aus Holz waren und mitten darin stand nun ein südländisches, barockes Gebilde mit korinthischen Säulen, Balustraden, Girlanden, Sybillen und Propheten, Evangelisten und Darstellungen des Marienlebens.

 

Die Marienkapelle von 1622 ließ der Bischof um 13 Schuh verlängern, also um ca. 4 m, um einen Raum für einen „Sängerchor“ und darüber ein „Oratorium“ zu erhalten. Das Tonnengewölbe, das schon bei der alten Kapelle vorhanden war, ließ er um diese 4 m verlängern. Alle Arbeiten, die mit Stein zu tun hatten, ließ der Fürstbischof vom „Purger und Maurmeister“ Adam Derffler von Passau ausführen. Der Vertrag über diese Arbeiten von 1699 liegt im Passauer Diözesan-Archiv. Alle Arbeiten, die mit Holz zu tun hatten, wurden von Jakob Auer ausgeführt, angefangen vom Gnadenbild bis zu den Holztüren. Aus dem „Contract“ mit Jakob Auer geht auch deutlich die Umbenennung der Kapelle hervor, indem es dort heißt: „So auf iren Gnaden, Herrn Johann Philipp Bischoven und des heyl. Röm. Reichs Fürsten von Passau, Graven von Lamberg pp. gnedigsten bevelch mit Jakoben Auer wol (wegen) Überichtung der lobwürdtigen unser Lieben Frauen Cappeln zu Thürna und zwar Auftrag und weis, wie sich selbige zu Loreto in Welschland befindt, heundt dato geschlossen worden ...“. Beiden Handwerkern wurden genaue Vorlagen an die Hand gegeben, die sich der Bischof aus Loreto besorgte.

 

Die Inschrift über dem Altarraum lautet auf Deutsch: „Möge Maria sein das Glück der Getreuen von Lamberg, Hilfe des fürstlichen Herrn und seines Volkes Gedeihen“.

Die Innenausstattung

Nach den durch die Jesuiten vermittelten Angaben und Plänen ließ Fürstbischof Lamberg auch das Innere der Kapelle als Kopie des damaligen italienischen Loreto-Heiligtums gestalten. Dargestellt ist innen das ruinöse, dachlose Haus Mariens unter dem Sternenhimmel. Jeder imitierte Stein und jedes Detail ist bewusst so gestaltet. Hinter dem Altar die Kochnische der Heiligen Familie, rechts und links davon die holzverkleideten Küchenschränke. Eine kleine Wandnische, rechts in Höhe des Altares ist als Ablagefach gestaltet. Gegenüber befindet sich ein Speiseschrank, auf dessen Türe die Verkündigung Mariens im Relief zu sehen ist, die nach gläubiger Überlieferung im Haus zu Nazareth geschah. Antik wirkenden Steine, z. B. der unmittelbar bei der Eingangstüre unten rechts, sind in das Mauerwerk eingelassen. An der Nordseite ein hölzerner Türsturz eines zugemauerten Eingangs, er trägt imitierte Brandspuren. Wandfresken, teilweise zerstört wirkend, befinden sich an der Nord-, West- und Südseite. Im westlichen Erweiterungsraum hängt ein zu jeder Loretto-Kapelle gehörendes Pisaner-Kreuz.

Der neubarocke Turm

Der Glockenturm für die nebenstehende, früher turmlose Pfarrkirche wurde erst 1894 aufgeführt. Literarisch steht er im Zusammenhang mit dem „Glockenkrieg“ von dem väterlicherseits aus Thyrnau stammenden Schriftstellers Alois Johannes Lippl, nach dem Krieg Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels.

Die Schwarze Madonna

Die Gläubigen selbst fanden bald den Weg zu ihr. Großes Gedränge gab es an den sogenannten Goldenen Samstagen. Wie für eine Fürstin wurde ihre Garderobe genäht. Ein Inventar weist aus: ein Kleid von Silberstoff, ein Kleid von rotem Damast mit Goldborten, eines mit Goldspitzen, eines mit Silberspitzen...

Das verehrte Ziel der Wallfahrt, die Schwarze Madonna, ist dem Typ nach eine byzantinische Hodegetria-Madonna, d. h. die uns Voranschreitende.