Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg
Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg

Die Steinzeitsammlung

Haupteingang 1.Stock, zugänglich zu den üblichen Öffnungszeiten

1993 bei der Vorstellung der Steinzeitsammlung, alles bewundert den Faustkeil, den „Thyrnauer“.

Von links: Heimatpfleger Erich Schätzl, Elfriede Böhmisch, Bürgermeister Leonhard Anetseder, Kreisarchäologe Walter Wandling, Kreisheimatpfleger Rudolf Hammel.

Die Gemeinde Thyrnau ist im Westen vom Satzbach, im Süden von der Donau und im Osten von der Erlau begrenzt. Über viele Jahre haben Personen Funde aus unserer Gemeinde zusam-mengetragen, die aus der Steinzeit und den anschließenden Epochen stammen. Die Personen, die die Funde für diese Sammlung zur Verfügung stellten, sind bei der Steinzeitvitrine im Thyrnauer Rathaus auf einer Tafel aufgeführt.

Die meisten Funde brachten die Bäuerin Elfriede Böhmisch und ihre Familie zutage. Jahr für Jahr ging sie umgepflügten Äcker mit zunehmender Verbundenheit zum Heimatboden.

Stellvertretend für alle anderen soll ein Einzelfund der Bäuerin Katharina Kimminger stehen: Ein 7.000 Jahre alter Reibstein, mit dem das Korn zerquetscht - also gemahlen - wurde, belegt den frühen Ackerbau.

Die steinzeitliche Funddichte in unserer Gemeinde erklärt sich vermutlich dadurch, dass unser Gebiet während der letzten Eiszeiten immer eisfrei war. So konnten entlang der Donau Bewe-gungen unserer Vorfahren vom Balkan nach Westeuropa und umgekehrt stattfinden.

"Thyrnauer", Faustkeil

In unserem Gebiet war Gesteinsmaterial zu finden, das für die Herstellung von Werkzeugen ge-eignet war, besonders der rotbraune Radiolarit und andere Silex-Varianten.

Aus der Altsteinzeit, etwa 40.000 bis 10.000 vor unserer Zeitrechnung, besitzen wir einen Faustkeil (s. Abb.). Wegen der Einmaligkeit des Fundes in unserer Gegend wurde besonders sorgfältig erkundet und mehrere Fachstellen um Begutachtung bemüht, die hier namentlich genannt werden: So z. B. Hauptkonservator Dr. Hans Uenze von der Prähistorischen Staats-sammlung in München, Professor Dr. Manfred Pertlwieser vom Oberösterreichischen Landes-museum Linz, Abteilung Urgeschichte u. a.

Ihre Aussage lautet zusammengefasst: Es handelt sich zweifellos um ein steinzeitliches Artefakt aus der Mittel- bis Altsteinzeit, eines seltenen archaischen Typs. Konstatiert wurden ein „rand-licher „Restkern einer Jura-Silex-Knolle“, eine „Hackkante zur Cortexseite“ (Rückseite) sowie ein „Hohlschaber unter der Nase“.

Der Faustkeil wurde unter dem Steinmaterial einer Wegebefestigung gefunden. Die Bauern holten sich noch vor einer Generation dieses Geröll aus einem hochgelagerten Kiesbett der Ur-donau. Im Falle unseres Faustkeiles stammte die Jura-Silex-Knolle aus dem Gebiet Thyrnau Zwecking.

Der Mensch, der anfing die Knolle zum Faustkeil zu bearbeiten wurde nicht fertig, er hat die Rückseite unbearbeitet gelassen, aus Gründen die wir nicht kennen und auch nicht vermuten können.

Jedenfalls besitzen wir mit dem Faustkeil, dem „Thyrnauer“, einen Beleg für die frühe Begehung unseres Gebietes.

Bei der weiten Fächerung der möglichen Epochen für die Datierung des Faustkeils könnte es sein, dass er auch von einem Frühmenschen, einem Neandertaler, gefertigt wurde, d. h. spä-testens vor ca. 40.000 Jahren vor unserer Zeitrechnung. Der Faustkeil war ein Allzweckgerät, Hammer und Schneidgerät und vor allem, gegen die Schläfe geführt, eine tödliche Schlagwaffe.

 

Nach dem Jagen des Großwildes, das in die Enge von Zusammenflüs-sen von Gewässern getrieben wurde oder zu Geländeabstürzen, wech-selte im Mesolithikum, ca. 10.000 bis 5.000 vor unserer Zeitrechnung, die Jagd auf die Tierwelt, die noch heute bei uns heimisch ist, auf Nie-derwild und Vögel.

Pfeilspitzen

Die wichtigsten Silex-Werkzeuge bildeten sich in Alt- und Mittelsteinzeit aus: die Klingen, Messer, Schaber, Kratzer, Speerspitzen, Pfeilspitzen, Querschneider, Bohrer, Stichel usw.

Der letzte große Zeitabschnitt der Steinzeit begann mit dem Neolithikum. Die Veränderungen waren so groß, dass man von einer Neolithischen Revolution spricht.

Eine der einschneidendsten Veränderungen in der Lebensweise unserer Vorfahren trat in dieser Periode ein. Aus dem südöstlichen Donauraum und noch früher aus dem Nahen Osten, kamen Familienverbände mit Saatgut und Rindern, Schweinen, Schaf- und Ziegenherden und ihrem le-bensverbessernden Wissen.

Die Neuen vermischten sich mit den hiesigen Jäger-, Fischer- und Sammlerfamilien. Sehr schnell übernahmen die hier Anwesenden die Lebensweise der Hinzugekommenen. Getreide konnte durch das Zerquetschen der Körner mit einem Reibstein gemahlen werden.

6 Reibsteine und Reibplatten

Ton wurde geformt und gebrannt, z. B. zu Tellern, Löffeln und Bechern.

Tellerfragment, Löffelfragment

Flachs und Wolle wurden gesponnen und gewoben.

Spinnwirtel

Kleine Silexstücke, Mikrolithen, wurden zu Harpunen verarbeitet, womit wir einen Hinweis für die Fischerei auf der Donau und ihren Nebenflüssen haben.

Diese Neuerungen geschahen in der Zeit der Linearbandkeramiker, etwa von 5.500 bis 4.900 v. Chr. Anschließend entwickelte sich die Kultur der Chamer-Gruppe von 3.200 bis 2.300, sie ist bei uns am verbreitetsten und gut erkennbar an ihrer grob gemagerten Keramik.

Die Schnurkeramiker, auch Streitaxtleute genannt, (2.800 bis 2.400 v. Chr.) domestizierten das Pferd und benutzten es als Reittier.

Zu dieser Kultur gehört die Donauwetzdorfer „Prunkaxt“ in unsere Vitrine; sie gehört zu den bekannten Ausstellungsstücken in dieser Vitrine. In der Fachliteratur wurde sie häufig beschrie-ben. Sie wurde von einem ganz in der Nähe der Vitrine arbeitenden Beamten des Rathauses gefunden. Im Kindesalter entdeckte er die Axt beim Steineklauben auf einem hofeigenen Acker; sie fiel ihm auf wegen der Lochdurchbohrung und wurde deshalb nicht wie üblich an den Acker-rand geworfen, sondern aufgehoben.

Die Donauwetzdorfer Prunkaxt ist keine Streitaxt, keine Waffe, sondern ein Hoheitszeichen, vergleichbar mit einem Zepter des Mittelalters. Die Form entspricht zwar der einer Streitaxt der Schnurkeramiker-Streitaxtleutezeit, doch die von der Durchlochung ausgehenden Sonnenstrah-len verdeutlichen die Verehrung der lebensspendenden Sonne. Die eingravierten Sonnenstrah-len wurden mit wahrscheinlich weißer Farbe hervorgehoben, inkrustiert.

Ein unglaublicher Zufall ist es, dass die Spitze der Donauwetzdorfer Prunkaxt verloren ging, aber 3 km entfernt ein Axtspitzenstück gefunden wurde, das aber nicht zur Donauwetzdorfer Prunkaxt gehört, denn sie hat eine andere Ausrichtung der Sonnenstrahlen. All das beweist, dass hier das Statussymbol eines Anführers vorliegt und nicht ein Werkzeug.

Prunkaxt

Die Randleisten der Axt sind geprägt von der vorangegangenen Kupferzeit, der Glockenbecher-kultur, als Waffen in Kupfer gegossen werden konnten. Eine Düse für die Metallschmelze aus der Glockenbecherzeit ist in der Vitrine zu sehen.

Düse

 

 

Manche der etwa 50 Beile haben eine kantige Form, war doch dem vorhandenen Steinmaterial leichter eine metallähnliche Form zu geben als einem Metall, dessen Guss man nicht mehr beherrschte, das man nicht mehr besaß, nicht mehr beziehen konnte oder das nur noch in der Erinnerung bekannt war, um auf diese Weise einen größeren Wert vorzutäuschen.

Keramikscherbchen

Von etwa 2.500 bis 2.200 v. Chr. lebten Glockenbecherleute hier. Das Wissen, dass diese Vorfahren hier waren, verdanken wir einem kleinen etwa 3 qcm großen Keramikscherbchen. Die Glockenbecherleute sind als ein Reitervolk bekannt; sie konnten bereits von Pferd aus mit Pfeilen schießen. Sogenannte Pfeil-schäfter dienten zum Glätten der Pfeile. Zwei Pfeilschäfter sind in der Vitrine zu sehen. Um den Puls am Unterarm gegen die zurückschnellende Bogensehne zu schützen, trugen die Reiter Schutzplatten aus Metall, Knochen oder Leder. Die Seltenheit des gezeigten Tonscherbchens spricht für das kurze Auftauchen der Glockenbecherleute, die vom europäischen Westen kom-mend, mit ihren Pferden auch größere Entfernungen zurückle-gen konnten und sich die Donau entlang bis Ungarn verbreiteten. Sie beherrschten die Kupfer-verarbeitung und führten damit nach der Bronzezeit ein neues Zeitalter ein, die Kupferzeit. Die bei uns gefundene Metallgussdüse und grünliche Kupferschlacke könnte ein Nachweis dafür sein.

Frauenidol

 

 

 

Die Glaubenswelt unserer steinzeitlichen Vorfahren wird spür- und sichtbar durch für uns kostbare Funde. So ein Fund ist z. B. mit dem daumengroßen, rotbraunen Tonfigürchen mit der deutlichen Einritzung eines Gesichtes, eines faltigen Rocks, eines Gürtels. Solche „Idole“ waren für unsere Vorfahren der Jungsteinzeit Mut-tergottheiten. In den Ackerboden gelegt, waren sie Ausdruck der Hoffnung auf gute Ernte.

Stierhörner

 

 

 

Das tönerne Stierhörnerpaar stand für den Mond-kult, erinnerten doch die Hörner an den Kult für alles, was Frauen betrifft, wie Fruchtbarkeit und Geburt.

Die schwarze Axt aus Basalt wurde an der Mündung der Erlau in die Donau geborgen. Die Kell-berger Bauern holten von dort noch bis vor kurzem Donaukies für die Aufschüttung ihrer Wald-wege. Wegen der Auffälligkeit der Durchbohrung wurde auch diese Axt zur Seite gelegt und kam so in die Steinzeitvitrine. Durch das jahrtausendelange Liegen im Wasser erscheint die Oberfläche ausgelaugt, rau, gesintert. Dieses Lavagestein stammt aus der Eifel und hatte einen weiten Weg bis zu uns genommen. Damit belegt sie die weiten Handelsverbindungen auch in dieser frühen Zeit.

Basaltaxt

Die Axt war eine wertvolle Opfergabe an die Donauflussgöttin, vielleicht um Schutz vor Hoch-wasser zu erbitten. Man erinnert sich an das Jahrtausendhochwasser von 2013. Es ist ein mär-chenhafter Zufall, dass heute wenige Kilometer donauaufwärts eine Statue der Donaunixe Isa am Ufer steht.

Buchseer Tonspulen

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Verarbeitung von Schafwolle und Flachs zeigen die großen und kleinen Spinnwirteln. Dass aus diesen Materialien bei uns Stoffe gewebt wurden, kann man mit den Buchseer Tonspulen be-legen, sie hielten die senkrechten Fäden im Webstuhl straff. Für die Vitrine erhielten wir von der Prähistorischen Staatssammlung Repliken.

Nach der Kupferzeit folgte mit der Eisenzeit die Zeit der Kelten. Der böhmisch-bayerische Raum war ein zentrales Siedlungsgebiet unserer keltischen Vorfahren. Nördlich der Donau saß der Stamm die Bojer, südlich der Donau die Noriker.

Für diese Zeit besitzen wir mit einem Frauenschmuck einen bedeutendes Zeugnis. Im 19. Jahr-hundert wurde an der Erlau-Mündung das Grab einer Keltin entdeckt. An den beiden Unterar-men trug sie bronzene Armreife, sogenannte Hohlbuckelarmreife. Sie sind aus dem 4. Jahrhun-dert v. Chr. zu datieren, in der Vitrine befinden sich Repliken.

Hohlbuckelarmreife

Für die Eisenzeit und die Eisenerzeugung liegen Eisenteile und kleine Eisennägel in der Vitrine. Keltische Eisenschürfgruben, sog. Trichtergruben, finden sich östlich der Kurklinik Schedel in der Waldung Reut. Die Eisengewinnung hat im Kellberger Raum Tradition, Eisen wurde hier bis in die Barockzeit abgebaut und geschmolzen.

Die 5 Wetzsteine in unserer Vitrine verwendete man zum Schleifen von Eisenwerkzeugen.

Wetzsteine

Das keltische Königreich der Noriker schloss sich freiwillig dem römischen Weltreich an und wurde im Laufe von Jahrhunderten romanisiert.

Die keltische Keramik zeichnete sich aus durch den Grafitzusatz im Ton, der das Gefäß feuer-fest und wasserundurchlässig machte. Außerdem erreichte man durch Hinzufügen von Grafit das Aussehen eines wertvolleren Metallgefäßes.

Grafit wurde schon damals im Raum Kropfmühle, wie heute noch, abgebaut und über das Figer-bachtal nach Kellberg und von hier weiter nach dem keltischen Bojodurum, dem heutigen Pas-sau, verfrachtet.

Fragment eines Glasarmreifs

 

 

Einen besonderen keltischen Schmuck stellt das winzige Stückchen eines blauen Glasarmreifs dar. Auch wenn es noch so kleine ist, stellt es für uns doch einen Glücksfall dar. Dieses Blau war bei unseren keltischen Vorfahren begehrt, am Foto des Fragments ist noch die Schönheit zu erahnen.

In die Frauenwelt gehörte auch das Schminkrot, der Blutstein, der Hämatit. Schon damals tru-gen die Mädchen und Frauen Rouge auf. Die sechs dunkelroten Tonplättchen mit ihren Benut-zungsspuren zeugen davon.

Hämatite, "Blutsteine"

Von 15 v. Chr. bis 476 n. Chr. grenzte dieses Gebiet unmittelbar an das Römische Reich. Von Nordufer der Donau konnten unsere Vorfahren den Straßenbau am Südufer entlang des „Was-serlimes“ beobachten. Man konnte nach Passau, dem jetzt römischen Boiodurum, sehen und zum  römischen Burgus im heutigen Passau-Haibach.

Im Jahre 476 hörte das Römische Reich mit der Absetzung des letzten Kaisers auf zu bestehen. Auf der Südseite der Donau zogen sich einige Jahre später, 488 n. Chr., die Bewohner, die sich mit der römischen Welt verbunden fühlten, aus den Provinzen Ufer-Noricum, dem heutigen Ober- und Niederösterreich, und aus Rätien, südlich der Donau ab dem Inn - dazu gehörte auch das jetzige Passau - nach Italien zurück.

Verstreut im ganzen Südlichen Bayerischen Wald bezeugen Metallfunde aus der römischen Zeit, dass Handelbeziehungen zwischen den römischen Provinzen nach Norden ins freie Germanien bestanden. Diese Metallfunde, z. B. aus Passau-Grubweg, Untergriesbach und Hauzenberg, sind auf den Handelswegen verloren gegangen.

Die Zeichnung von Frau A. v. Kriegelstein-Bender lässt ein Abbrechen des Löwen vom Objekt erkennen. Das Nietloch am Hinterlauf des Löwen ist ganz abgebrochen, das am Vorderlauf ver-bogen, die Nietstifte verloren. So ein kleiner Fund verbindet uns mit dem römischen Weltreich, ganz gleich, was einmal geschah. Unter einem Altweg im Kellberger Raum, der von Passau über die Donau nach Norden führte, wurde beim Umgraben eines Gemüsebeets dieses sogenannte „Henkelzierstück“ gefunden, das heute in der Vitrine aufbewahrt wird.

Professor Dr. Helmut Bender, Universität Passau, Römische Provinzial-Archäologie, konnte im syrischen Nationalmuseum in Damaskus ein vergleichbares Henkelzierstück entdecken, das im Palmyra gefunden wurde.

Nicht nur aus der Vor- und Frühgeschichte wurden in unserer Gemeinde Dinge gefunden, son-dern bis heute auch aus späteren Zeiten. So fand sich in der Nähe der früheren Thyrnauer Burg eine Noppe aus Glas von einem gotischen Rüsselbecher. Ein winziges altes Glasfragment mit dem Altöttinger Gnadenbild, eine kleine tönerne Tabakpfeife, Kinderschusser und die unzerbro-chene Erkennungsmarke eines Soldaten aus dem II. Weltkrieg bereichern die Sammlung.

Beim Betrachten der in dieser Vitrine ausgestellten Sammlung erahnen wir, welch langer Weg hinter uns liegt. Alle die heute in dieser Gemeinde leben, stehen in irgendeiner Beziehung zu dieser Vergangenheit.

Nicht nur die können sich einbezogen fühlen, die seit Generationen hier zu Hause sind, sondern auch die, die erst seit kurzer Zeit hier leben. Lehrt doch gerade das gezeigte Fundgut, dass es immer eine Verbindung von Ansässigen und ihrer Kultur mit Neuhinzugekommenen und deren Kultur gab, woraus letztlich resultierte, was heute Gemeinde Thyrnau heißt.

Wir sind die Summe all dessen, was vorher war.

Aufnahmen: Christel Schätzl, Franz Stangl PNP