Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg
Heimatgeschichte Thyrnau-Kellberg

Die "Thyrnauerin"

ist in der Bayerischen Kunstgeschichte der Name für die überregional bedeutende Steinmadonna in der Pfarrkirche Thyrnau, geschaffen um 1480 unter dem Einfluss des bedeutendsten Bildhauers der Spätgotik, Niklas Gerhaert von Leyden, geboren um 1430 im holländischen Leyden, gestorben am 28. Juni 1473 in Wiener Neustadt.

 

Der Künstler wirkte an den Bischofsitzen und Dombauhüten Trier und Straßburg, bevor er nach der zweimaligen Aufforderung durch Kaiser Friedrich III. für das Grabmonument dieses Kaisers im Apostelchor des Wiener Stephansdomes tätig wurde, und dies bis zum Tod im Jahr 1473.

 

Im selben Jahr 1473 ist der Bildhauer Martin Kriechbaum in Passau feststellbar, sodass anzunehmen ist, dass Martin ein Mitarbeiter Gerhaerts in Wien war. Mit seinem Bruder Ulrich Kriechbaum und den Söhnen Paul, Johannes, Stephan und Sebastian war er der Begründer einer eigenen Bildhauerwerkstatt in der Passauer Milchgasse Nr. 7, in der Nähe des Klosters Niedernburg.

 

So wie das Grabmal für Kaiser Friedrich III. im Stephansdom in Wien der Höhepunkt im Wirken Gerhaerts von Leyden ist, so ist der 13 m hohe Kefermarkter Schnitzaltar im Mühlviertel der künstlerische Höhepunkt der Passauer Kriechbaum-Werkstatt.

 

Hier in der Gemeinde Thyrnau, in der alten Hofmark, besitzen wir voller Stolz ein erstrangiges Kunstwerk dieser Martin-Kriechbaum-Werkstatt.

 

Die Thyrnauerin ist nach der Zeit den Schönen Madonnen der Spätgotik ein Neuanfang. Diese Zeit wird so bezeichnet nach den eleganten, in s-förmiger Körperhaltung stehenden, aristokratischen Madonnen mit ihren verinnerlichten Gesichtern. Ganz anders unsere Kriechbaum-Madonna. Maria sitzt mit ihrem ballhaltenden Kind wie eine bürgerliche Mutter in einem Sessel. Ihre Körperlichkeit wird sichtbar und ist nicht durch die Gewandung verdeckt. Die Halsfalten beschönigen nichts. Die knittrige, aufgewühlte Gewandung lässt die anbrechende Renaissance ahnen, die Zeit nach 1500. Diese Stilepoche wird als barocke Spätgotik bezeichnet.

 

Die Thyrnauer Madonna stand noch bis 1928 in der alten, ursprünglich romanischen Christopherus-Kirche am Ostrand von Thyrnau. Kurz vor 1500 wurde dieser Kirche ein spätgotisches Langhaus angefügt.

 

Bei dieser Gelegenheit wurde wohl auf Betreiben unseres Ortsadelsgeschlechtes die Madonna aufgestellt auf einem heute noch sichtbaren eigenen Altarsockel an der Nordwand.

 

In Erkenntnis ihrer kunsthistorischen Bedeutung wurde sie von der isolierten Randlage in die heutige Pfarrkirche in der Ortsmitte überführt und in einer Nische im Eingangsbereich zur besseren Würdigung aufgestellt.

 

Gläubige und Kunstinteressierte werden von der Thyrnauerin auch noch nach 500 Jahren in ihren Bann gezogen.